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B i o g r a p h y

Hans Tramer on Kurt Loewenstein, published in memory of Kurt Loewenstein, "MB", 23 November 1973.

 

Kurt Loewenstein 

Es ist schwer, immer wieder Abschied nehmen zu müssen, und zumal von einem Freund, mit dem man von Jugend an auf das Engste verbunden war. Annähernd fünf Jahrzehnte sind es, dass Kurt Loewenstein  zum Weggenossen und — wortwörtlich — zum Gesinnungsgenossen wurde, jedenfalls soweit es um zionistische und allgemein politische Anschauungen ging. Die Diskussionen und Erörterungen mit Ihm, täglich und jedes Ereignis betreffend, seine Darstellung besprechend — sie waren zur Lebensnotwendigkeit geworden und sie zu missen ist im Augenblick noch unvorstellbar. Alle, die ihn kannten, und vor allem auch die große Zahl seiner Lese, wissen, welcher Verlust durch sein Hinscheiden in unseren Reihen entstanden ist. 

 

Ein plötzlicher Tod hat ihn, den wir schon genesen glaubten, am 12. November, unmittelbar nach seinem 71. Geburtstage, hinweggerafft. Kurt Loewenstein stammte aus Breslau wo er schon als junger Student eine wichtige und oft entscheidende Rolle in der jüdischen und zio¬nistischen Jugendbewegung spielte. Sein Elternhaus in der Breslauer Gabitzstrasse war der Treffpunkt eines ausgewählten Kreises junger Zionisten, wo, unter wohlwollender Billigung von Vater und Mutter, bis tief in die Nachtstunden über damalige Probleme des Judenseins und des Zionismus diskutiert wurde. Der hoch intelligente Student der Nationalökonomie bildete den Mittelpunkt, wie er auch schon als Redner und Debattierer in Versammlungen und öffentlichen Zusammenkünften ein Ansehen besaß. Loewenstein vertrat eine ausgesprochen sozialisische Haltung, zu auch der von ihm 1922 in Breslau gegründete Wanderbund „Makkabi“ neigte. Es war daher kein Wunder, dass er seine Gruppe Brith Haolim / JJWF  zuführte, der sich als Nachwuchs Bewegung der palästinensischen Arbeiterschaft verstand, und in dessen Bundesleitung er 1926 auf dem Bundestag in Auleben eintrat.

 

Zu dieser Zeit war Kurt Loewenstein allerdings nicht mehr in Breslau. Er hatte inzwischen das Sekretariat des Zionistischen Gruppenverbands Rechtsrheinland und Westfalen mit dem Sitz in Duisburg übernommen, dessen Vorsitz Dr. Harry Epstein innehatte. Diese Tätigkeit und die enge Zusammenarbeit mit Dr. Epstein formte den zionistischen Politiker und Publi¬zisten endgültig. Von Duisburg aus begann er für die „Jüdische Rundschau“ zu schreiben, innerhalb des JJWB war er einer der Hauptwortführer für die Politisierung des Bundes, oder besser gesagt: eine politische Erziehung seiner Menschen, und 1928 übertrug man ihm die Sekretariatsgeschäfte der „Liga für das Arbeitende Palästina“. 

 

Im folgenden Jahr entschloss er sich, zur Abrundung seiner Studien  nach Frankfurt a.M. zu gehen und bei Professor Karl Mannheim eine größere Untersuchung durchzuführen: Zugleich wurde er der Redakteur des bedeutenden wirtschaftlichen Fachblattes „Schuh und Leder“, in dem er selber zahlreiche finanzpolitische Artikel und arbeitstechnische Aufsätze veröffentlichte. Den Zusammenhang mit der zionistischen Welt. hielt er dabei aber ständig aufrecht, und es war daher kein Unbekannter, den Dr. Robert Weltsch 1933 neben sich in die Redaktion der „Jüdischen Rundschau“ berief. 

 

Über diese „große“ Zeit von Kurt Loewenstein in Berlin als Redakteur der „Jüdischen Rundschau“ bis Ende 1938 brauchen wir hier nicht viel zu sagen. Unseren Lesern ist bekannt, was er neben und mit Dr. Weltsch in dieser schweren und ge¬fahrvollen Periode seines Wirkens unter ungewöhnlichen und beispiellosen Bedingungen mit seiner Feder geleistet hat. Wenn es einer Probe seiner journalistischen Fähigkeiten bedurfte, so hat er sie in dieser Zeitspanne bestanden! Als die „Jüdische Rundschau“ auf Befehl der nationalsozialistischen Machthaber ihr Erscheinen einstellen musste, kam Loewenstein mit seiner Familie nach Erez Israel. Hier war er gezwungen, sich völlig umzustellen. Aber auch das gelang ihm schließlich. Er wurde Beamter und dann Abteilungsleiter der Versicherungsgesellschaft „Hassneh“, in der er bis zu seiner Pensionierung arbeitete. Nebenher eröffnete sich ihm aber auch wieder ein Feld journalistischer Tätigkeit. Fast vom ersten Tage seiner Einwanderung an wurde er ein regel-mäßiger Mitarbeiter unseres „MB“, in dessen Redaktionsführung er eintrat, als er von der Last der täglichen Berufsarbeit befreit war. Seinen großen Gaben als Publizist, seiner tiefen und vielseitigen Bildung, seiner Kunst der Darstellung auch komplizierter politischer und weltanschaulicher Probleme ist es , vorwiegend mit zu verdanken, dass unser Blatt ein Niveau erreichen konnte, das weithin Anerkennung fand. In unserem Kreis wird Kurt Loewenstein nicht zu ersetzen sein. Für das, was er zu sagen hatte, be¬diente er sich einer Form und eines Stils, der ganz ihm eigen war. Seine Sorge galt bis zum letzten Tage unserem, seinem „MB“, das nun ohne ihn auskommen muss, aber seinen Geist weiter pflegen will.

 

Kurt Loewenstein war jedoch keineswegs nur ein Redner oder der Tagesjournalist. Er hat gerade im letzten Jahrzehnt, das seinem arbeitsreichen Leben etwas mehr Ruhe gönnte, eine Reihe von größeren Arbeiten veröffentlicht, die ebenfalls das außerordentliche Maß seines Wissen und Könnens erweisen. In einem ausführlichen Referat, das auch im Druck vorliegt, hat er Dr. Georg Landauer, der ihm von Jugend an Freund und Lehrer war, als Erzieher gewürdigt. Lange beschäftigte ihn das Thema der „Juden in der modernen Massenwelt“, das er schließlich in einer längeren Arbeit an den beiden Autoren Hermann Brach und Elias Canetti exemplifizierte. In einem anderen umfangreichen Aufsatz stellte er die für die Juden in Europa so fruchtbar gewordene „Begegnung zwischen Ost und West“ dar. Aus eigener Anschauung und Erfahrung konnte er sich in einem über 50 Druckseiten starken Essay über „Die innerjüdische Reaktion auf die Krise der  deutschen Demokratie“ äußern, der in dem in zweiter Auflage herausge¬kommenen Sammelband des Leo Baeck Instituts „Entscheidungsjahr 1932“ erschienen ist. In den letzten Jahren fesselte ihn eine Untersuchung der Haltung von „Thomas Mann zur jüdischen Frage“, deren Grundlinien er schon im Bulletin des Leo Baeck Instituts veröffentlicht hatte, die er dann aber zu einem Buche ausarbeitete, das der Lambert Schneider Verlag, Heidelberg, in seinem Programm für 1974, ankündigt. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, die letzten Korrekturen an diesem Manuskript vorzunehmen und sein Erscheinen zu erleben. 

 

Für uns, seine engeren Freunde und Kollegen, entsteht durch den Tod von Kurt Loewenstein eine Lücke, die wir wohl kaum auszufüllen imstande sind. Sein Fehlen wird uns immer schmerzlich an vieljährige produktive und harmonische Zusammenarbeit erinnern. Wir sind in Trauer mit seiner Gattin, seinen Kindern und Enkeln vereint und wir wissen, dass wir einen besonderen Menschen verloren haben, dessen Wirken in unserer Mitte fortleben wird.

 

-HANS TRAMER

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